Das soziale Netzwerk Snapchat lässt sich in seinen AGBs die Nutzungsrechte an allen Bildern seiner User einräumen. Snapchat zerstört damit womöglich seinen eigenen Markenkern, denn die Nutzer hatten an dem Messanger gerade die Diskretion geschätzt. In Deutschland sind die neuen AGBs wahrscheinlich nicht gültig.
Paukenschlag ging durch die Welt der sozialen Netzwerke: Snapchat lässt sich in seinen geänderten AGBs uneingeschränkte Nutzungsrechte an allen Bildern einräumen, die seine Nutzer über den Messanger teilen. Nach Angaben von Computer-Bild ist der fragliche Passus bereits seit einem Jahr Teil der Lizenzvereinbarung und durch die neuen AGBs erst jetzt aufgefallen. Im Gegensatz zu Facebook, das gewöhnlich technische Gründe für weitgehende Rechteeinräumungen in ihren AGBs vorschiebt, kommuniziert Snapchat ganz offen, zu welchem Zweck die Bilder veröffentlicht werden sollen:
We will use this license for the limited purpose of operating, […] and making content submitted through the Services available to our business partners for syndication, broadcast, distribution, or publication outside the Services.
[Wir werden diese Lizenz für den Beschränkten Zweck des Betreibens [und …] nutzen und Inhalte über unsere Übermittlungsdienste unseren Geschäftspartnern zur Verfügung stellen für Verkauf, Sendung, Verteilung und Publikation außerhalb unseres Services.]
Snapchat möchte mit den Inhalten seiner User Geld verdienen, mit Inhalten von Usern, die überhaupt nur deswegen Snapchat benutzen, weil sie Diskretion und Anonymität des Dienstes schätzen. Normale Bilder, die die User an ihre Freunde versendet haben, sollen wohl nicht vermarktet werden. (Obwohl dies nach dem Wortlaut der AGB juristisch möglich wäre) Vielmehr sollen Bilder von Snapchat-Diensten wie Live Stories zum Beispiel Sport- oder Konzertveranstaltern dazu dienen Live-Fotos von ihren Events für Promo zu nutzen.
Was ist Snapchat?
Die Frage bedürfte eigentlich keiner expliziten Antwort mehr. Doch ich erkläre das Geschäftsmodell noch einmal ausführlich, weil die Konzern-Manager es aus unerfindlichen Gründen vergessen zu haben scheinen.
Snapchat ist ein Messanger und ein soziales Netzwerk mit weltweit mehr als 200 Millionen Nutzern. User können in ihm Texte, Bilder und andere Inhalte an ihre Freunde schicken. Anders als bei Facebook, Twitter, Instagramm oder Google+ werden diese Inhalte dabei nicht öffentlich. Wenige Sekunden nachdem der Empfänger das Bild oder die Nachricht gesehen hat, löscht sie sich selbst. Auf diese Weise können die Sender sicher sein, dass ihre Bilder (zuweilen eben sehr private Bilder) nicht an Dritte weiterverbreitet werden konnten. Snapchat war für alle Interessant, die eine Pause von der allgegenwärtigen Öffentlichkeit sozialer Netzwerke brauchten. Alle, die peinliche Fotos nur dem Partner oder der besten Freundin schicken wollten, brauchten keine Angst davor zu haben, wo sie hinterher landeten. Gerade im Februar letzten Jahres als Whatsapp an Facebook verkauft wurde, gewann Snapchat ungemeine Beliebtheit. Besonders junge Nutzer fürchteten, dass ihre privaten Daten bei Whatsapp nun der Datenkrake Facebook zum Opfer fallen könnten.
Dass die User ihre Daten bei Snapchat in Sicherheit wähnten, war natürlich immer eine Illusion. Doch die Anonymität und Diskretion im Umgang mit den eigenen Bildern war Snapchats Markenkern und Alleinstellungsmerkmal. Nun aber müssen die User potentiell fürchten ihr peinliches Grimassenbild irgendwann auf einem Werbeplakat wiederzufinden. Selten hat ein Unternehmen so eindeutig bewiesen, dass es seine Nutzer und sein eigenes Geschäftsmodell nicht versteht.
AGBs ungültig
Die AGBs so grundlegend zu ändern und das Image und den Markenkern des Unternehmens aufs Spiel zu setzen ist grundsätzlich eine sehr fragwürdige Entscheidung. Noch fragwürdiger ist jedoch der Zeitpunkt. Erst Anfang Oktober hatte der Europäische Gerichtshof das Safe Harbour Abkommen mit den USA für ungültig erklärt. Gerade jetzt sind Gerichte, Regierungen und Behörden für fraglichen Umgang mit Datenschutz also besonders sensibilisiert. Ausgerechnet jetzt, eine so weitgehende Änderung der AGBs vorzunehmen, wirkt fast, als wolle Snapchat mit Gewalt Sanktionen auslösen.
In Deutschland sind die fraglichen AGBs ohnehin nicht rechtsgültig. Wie online-Anwalt Christian Solmecke bereits berichtete, widersprechen die AGBs diversen deutschen Datenschutzbestimmungen. So werde zum Beispiel nicht transparent genug kommuniziert welche Daten erhoben würden und wozu genau sie verwendet werden sollen. Zudem gibt es in Deutschland das Prinzip der „Datensparsamkeit“.
Am auffälligsten ist jedoch ein formales Versäumnis: Snapchat hat den Text der AGB bisher nur auf Englisch veröffentlicht. Das Berliner Landgericht entschied jedoch in einem Grundsatzurteil im Mai letzten Jahres, dass ein in Deutschland tätiger Dienst seine AGB auch in deutscher Sprache zur Verfügung stellen muss. Beklagte Partei war in diesem Verfahren übrigens Whatsapp, das ein fast identisches Geschäftsmodell wie Snapchat betreibt.
Diskretion vs. Öffentlichkeit
Der Fall von Snapchat führt zu grundsätzlichen Gedanken über Öffentlichkeit und Privatheit in sozialen Netzwerken und im Internet an sich. Wer digital kommuniziert muss sich klar sein, dass seine Inhalte nicht mehr gänzlich privat sind. Wer Bilder, Videos oder sonstige Inhalte von sich in irgendeiner Weise ins Netz stellt (und sei es nur in ein Cloud), der muss damit rechnen, dass sie missbraucht werden. Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter, Google und eben Snapchat sind für den Nutzer kostenlos. Umsonst sind sie aber eben nicht: Der User zahlt mit seinen persönlichen Daten. Und das muss uns allen bewusst sein.
Jedes Internetunternehmen muss deshalb für seinen Umgang mit Verbraucherdaten Maß und Mitte finden. Das war im groben auch das Ergebnis einer interessanten Twitter-Diskussion, die ich mit Bloggerkollegin Daniela Sprung von Blogger-abc zum dem Thema geführt habe.
Na guck an und das wo Snapchat doch alle Bilder löscht… @ideentraeger https://t.co/s55gy5lnHL
— Daniela Sprung (@bloggerabc) 5. November 2015
Tja, siehste mal. Die nächste Datenkrake schlägt bestimmt irgendwann zu, @bloggerabc. @ThomasMorus1478
— Anett Gläsel-Maslov (@ideentraeger) 5. November 2015
Bei #snapchat gehen anonymer Anspruch und datendiebische Realität schon weit auseinander. @ideentraeger @bloggerabc
— Thomas.Morus1478 (@ThomasMorus1478) 5. November 2015
@ThomasMorus1478 @ideentraeger Wo nicht? #lifeispain
— Daniela Sprung (@bloggerabc) 5. November 2015
Haste recht. Vollkommene Anonymität und Datensicherheit widersprechen sich halt mit der Idee sozialer Netzwerke @ideentraeger @bloggerabc
— Thomas.Morus1478 (@ThomasMorus1478) 5. November 2015
@ThomasMorus1478 @ideentraeger Ich muss sagen: Bedingt. Datenschutz kann gewährleistet werden, ohne kpl. Anonymität. Das Maß entscheidet.
— Daniela Sprung (@bloggerabc) 5. November 2015
@bloggerabc @ideentraeger #snapchat ist hier definitiv zu weit gegangen. Zum Glück kommen die mindestens in Deutschland nicht damit durch
— Thomas.Morus1478 (@ThomasMorus1478) 5. November 2015