Die Aggression Russlands in der Ukraine ist ohne Beispiel in der jüngeren Weltgeschichte. Nie wurde das Völkerrecht so offen und so rigoros gebrochen. Ein Kommentar zur ganzen Chronologie der Ereignisse.
Russland und die Ukraine das mutet mittlerweile an wie der Plot eines abgedroschenen Films oder Dreigroschenromans: Eine Nation erhebt sich und stürzt in einer Demokratischen Revolution einen Diktator, der in Wahrheit einer fremden Großmacht dient. Doch die feindliche Macht will sich damit nicht zufrieden geben. Aus Großmachtstreben und imperialem Gloria marschieren sie mit ihren Truppen in die revoltierende Nation ein. Sie annektieren einen Teil ihres Gebiets und stürzen den Rest durch eine Allianz mit dubiosen Rebellen ins Chaos. Die freien demokratischen Staaten versuchen zu helfen, versuchen zu verhandeln und zu unterstützen. Doch vor dem letzten Mittel schrecken sie zurück: Sie wollen keinen Krieg zwischen Großmächten. Deswegen müssen sie hilflos zusehen: Ein Mann, der schon sein eigenes Land aus einer fragilen Demokratie in eine Diktatur verwandelt hat, verleibt sich nun auch noch sein Nachbarland ein.
Wenn die Welt wirklich schwarz und weiß ist…
Hätte mir vor 3 oder 4 Jahren ein Student oder Praktikant einen Essay mit diesem Inhalt vorgelegt, hätte ich geschmunzelt. Der Autor ist noch so jung, noch so unerfahren. Er hat noch nicht realisiert, dass jede Medaille 2 Seiten hat, dass jeder Akteur seine Motive und Gründe hat, dass die Welt nie schwarz oder weiß ist, sondern immer die Grautöne dominieren. Das hätte ich vor 3 oder 4 Jahren einem jungen Autor gesagt. Und dann kam der Ukraine-Konflikt. Und plötzlich ist die Welt wirklich schwarz und weiß.
Sogar die Sartire-Seite Postillon hat thematisiert, wie offensichtlich Russland und Putin die Schuld an den Ereignissen tragen.
Unabhängigkeit von Russland – das Ziel der Ukraine
Diese Krise dauert schon so lange, dass wir vergessen haben, wie die Geschichte angefangen hat. Es begann allles mit einem Assoziierungsabkommen mit der EU, dass der Präsident/Diktator Wiktor Janukowytsch nicht unterschreiben wollte oder viel mehr durfte. Damals gingen die Proteste los. Weil eine Studentendemonstration von Militärpolizei mit Gewalt niedergeknüppelt wurde, versammelten sich im Dezember 2013 mehrere 100.000 Menschen auf dem Maidan-Platz in Kiew. Trotz aller Kälte und dem Widerstand der Regierungsorgane hielten sie stand. Monatelang gab es Barrikadenkämpfe. Scharfschützen schossen von den Dächern. Regierungstruppen inkognito feuerten aus Zivilfahrzeugen. In einem Gewaltakt jagte die Ukraine Janukowytsch damals davon, um den Einfluss von Russland endlich zu brechen. Niemand konnte ahnen, dass das schlimmste noch bevorstand.
Für Russland war die Ukraine ein Meilenstein nationaler Glorie
Wer einen Einblick in Russland und seine Nationalseele erhaschen will, ist gut beraten einmal in die Bücherregale zu schauen. Im Bereich der Military-Science-Fiction (ein Bereich der in Russland derzeit boomt) werden schon seit der Orangenen-Revolution massenweise Romane über die Ukraine publiziert. Einmalig ist dabei der Roman Krieg 2011. Gegen die NATO. Schon auf dem Cover (Bild Rechts) sieht man wie ein glorreicher russischer Soldat den Piloten eines abgeschossenen Jets mit Nato-Logo gefangen nimmt. Die Geschichte des Buchs strotzt nur so vor Nationalismus: Darin dringen böse amerikanische NATO-Truppen in die Ukraine ein, erobern den Staat und verüben Völkermord an der russisch-sprachigen Bevölkerung. Niemand außer der glorreichen russischen Armee stellt sich ihnen entgegen. Das Buch ist jüngst noch einmal neu aufgelegt worden.
Mit diesen Augen sehen die Russen den Konflikt. Für sie ist Osteuropa immer noch ihre Einflusssphäre, ist jede Westintegration der dortigen Staaten eine Provokation. Russland sehnt sich in eine Zeit zurück, in der man eine Supermacht war, in der das Imperium über einen Großteil der Welt herrschte, in der man den kalten Krieg noch nicht verloren hatte. Doch diese Tage sind gezählt. Nicht nur die Tage, in denen Russland eine Supermacht war, sondern die Tage in denen es Supermächte gab. Die Wirtschaftsleistung der schwächsten und der stärksten Länder der Welt nähern sich seit Jahrzehnten immer weiter an. Durch das Internet sind Informationen lange nicht mehr nur in Industriestaaten, sondern auch in Entwicklungs- und Schwellenländern für jedermann verfügbar. Wirtschaftsallianzen und die Lösung militärischer Konflikte werden immer häufiger von regionalen Mächten und Allianzen organisiert… nicht mehr in Washington, Moskau oder New York.
Die Zeiten in denen eine Großmacht einer souveränen Nation vorschreiben durfte, welchem politischen Bündnis sie beitreten durfte sind vorüber.
Russland eroberte die Krim von der Ukraine
Was Russland sich seit dem letzten Jahr in der Ukraine geleistet hat, spottet jeder Beschreibung. Niemals wurde seit dem Ende des zweiten Weltkriegs ohne irgendwelches Unrechtsbewusstsein das Völkerrecht so offenkundig mit Füßen getreten. In Abchasien und Südossetien hatte Putin immerhin noch den Anstand eine Hampelmann-Regierung aus Strohmännern einzusetzen. Die Regionen blieben zwar nur nominal unabhängig. Doch versuchte er wenigstens notdürftig zu verschleiern, dass Russland wie eine Mongolenhorde in das Territorium eines anderen souveränen Staats eingefallen war und es unterjocht hatte.
Auf der Krim hielt Putin nun nicht einmal mehr das für notwendig. Er annektierte sie einfach. Und wie jüngst bekannt wurde, plante er dies bereits, bevor die Krim sich in einem Referendum für den Beitritt zu Russland entschied.
Die Begründung für die Annexion: Russland habe eine Fürsorgepflicht für die dortige russisch-sprachige Bevölkerung. Seit wann haben moderne Nationen nicht mehr nur Verantwortung für ihre eigenen Staatsbürger, sondern für jeden Angehörigen bestimmter ethnischer Gruppen? Diese Argumentation stammt vom Beginn des letzten Jahrhunderts und nennt sich Panslawismus. Als sie noch offizielle russische Staatsdoktrin war, erhob das russische Zarenreich den Anspruch auf die Oberhoheit über alle slawischen Völker. Sind diese Zeiten jetzt wieder gekehrt?
Russland und die Ost-Ukraine
Wer noch immer daran zweifelt, dass Russland den Vormarsch der Ost-ukrainischen Rebellen maßgeblich unterstützt und vorangebracht hat, der glaubt auch an den Weihnachtsmann. Die Rebellen waren Anfang Juli 2014 fast militärisch besiegt, schafften es aber in den folgenden Monaten die offizielle ukrainische Armee zurückzudrängen und vorher unbesetzte Gebiete zu annektieren. Dabei gab es öffentliche Rückendeckung von Wladimir Putin. Kurz bevor der Oppositionspolitiker Boris Nemzow neue Interna zum Ukraine-Krieg veröffentlichen wollte, wurde er ermordet.
Wer trotzdem immer noch glaubt, dass dies alles ein Zufall und eine Verschwörung des Westens sei, der schaue sich die Enthüllungen an, die das Online-Journalismus-Projekt Bellingcat zuletzt vorgelegt hat. Das Online-Team wertet tausende von Quellen aus, die für jedermann Zugänglich sind: Satellitenbilder, Videos, Facebook-Fotos. Ein einzelner Mensch würde Wochen brauchen, um die immense Menge an Quellenmaterial zu sichten. Doch die Community hat es gemeinsam geschafft und erwiesen, was eigentlich schon jeder gewusst hat: Zahlloses russisches Militärgerät ist in der Ukraine im Einsatz. Auch der Raketenwerfer, mit dem das Passagierflugzeug MH17 abgeschossen wurde, stand kurz zuvor noch auf einer russischen Militärbasis. Am 11. Juli, dem Wendepunkt des Kriegs, wurden bei zahllosen Artillerieangriffen auf die Ukrainische Armee mehr als 130 Soldaten getötet oder verletzt. Und die Artilleriestellungen befanden sich fast ausnahmslos auf russischem Territorium.
Schwarze Jahre für die Weltgemeinschaft
Putin ist offenbar ein Machtpolitiker ohne Skrupel. Viel erschreckender ist jedoch, dass seine brutale und völkerrechtswidrige Politik offenbar die Zustimmung der russischen Bevölkerung findet. Was treibt die Russen dazu, Krieg und Völkerrechtsbruch gutzuheißen? Rationale Erwägungen können es jedenfalls nicht sein. Immerhin ist die Krim ein wirtschaftlich völlig unbedeutender Landstrich, der in den nächsten Jahren Milliarden an Aufbauhilfe kosten wird. Gebrochener Nationalstolz? Sehnsucht nach der glorreichen Vergangenheit?
Alles was Russland durch die Ukraine-Krise erreicht hat, ist das Land international zu isolieren. Und das in Zeiten, in denen der niedrige Ölpreis das bisherige Wirtschaftsmodell Russlands auf eine harte Probe stellt. Die demokratischen Staaten beschließen immer härtere Sanktionen. Investoren ziehen Ihr Geld aus Russland ab. Es ist eine gefährliche Kombination, die Russlands Wirtschaft und Wohlstand gefährdet.
Sind regionale Dominanz, Nationalstolz und Gloria das wirklich wert?
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Der Link zum Postillion verlinkt innerhalb deines Blogs und funktioniert deshalb nicht.
Danke für den Hinweis. Link ist gefixt.
Was bei den Schlussfolgerungen noch fehlt, ist die konsequente Westorientierung der Restukraine, die Putin damit befeuert hat. Und die Vergiftung des russisch-ukrainischen Verhältnisses, das vormals immerhin eine strategische Partnerschaft war.