Selbst fahrende Autos. Fertigungsroboter. 3D-Drucker. Online-Shops. Computergesteuerte Fabriken. Die Digitalisierung hat unglaubliche Technologie hervorgebracht. Macht sie uns dadurch irgendwann arbeitslos?
Dieser Blogpost basiert im groben auf einem Vortrag, den ich am diesjährigen Braincamp (25.-26.04.) in Köln gehalten habe. (Video ganz unten) An dieser Stelle nochmals vielen dank an die Teilnehmer für die Produktive Diskussion.
Macht der technische Fortschritt uns alle arbeitslos? Diese Frage ist alles andere als neu. Bereits im 19. Jh. wurde sie mit Inbrunst unter Intellektuellen diskutiert. Prominent stellte Karl Marx diese These auf. Doch auch Autoren mit völlig anderem politischen Hintergrund, wie der katholisch konservative Autor Jakob Lorber befürchteten schwere gesellschaftliche Folgen.
Mit der durch sie selbst produzierten Akkumulation des Kapitals produziert die Arbeiterbevölkerung also in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eignen relativen Überzähligmachung.
Aber es wird kommen am Ende eine Zeit, in der die Menschen […] erbauen werden allerlei Maschinen, die alle menschlichen Arbeiten verrichten werden […]; dadurch aber werden viele Menschenhände arbeitslos, und die Magen der armen, arbeitslosen Menschen werden voll Hungers werden.
Schafft die Digitalisierung Arbeitsplätze?
Die Furcht vor der Automatisierung ist also schon 200 Jahre alt. Und schaut man sich die Entwicklung des Arbeitsmarkts in dieser Zeit an, so stellt man fest: Wir sind nicht alle arbeitslos geworden. Im Gegenteil sind die in Deutschland geleisteten Arbeitsstunden seit 2011 etwa konstant geblieben und sogar leicht gestiegen.
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Man könnte also leicht vermuten die Angst vor Arbeitsplatzverlust sei ein Hirngespinst. Eine Erfindung kluger Theoretiker, die in der Praxis jedoch niemals Realität werden wird. Immer wieder ist die These vertreten worden: Neue Technologie vernichtet kurzfristig arbeitsplätze, langfristig schafft sie jedoch neue. Davon waren und sind Schriftsteller und Politiker überzeugt.
Jede große Erfindung beraubt 50.000 Männer ihres Lebensunterhalts, und innerhalb von zehn Jahren schafft es einen Lebensunterhalt für eine halbe Million.
Wir glauben, wenn Menschen die Fähigkeiten haben, neue Maschinen zu erfinden, die Menschen arbeitslos machen, dass die Maschinen dann auch die Fähigkeit haben, diese Menschen wieder in Arbeit zu bringen.
Die Technik hat auf längere Sicht immer neue Arbeit gebracht.
Das Zitat von Bundesaußenministerin Andrea Nahles stammt aus einem Interview vom letztem Mittwoch (22.04.2015) bei der Veröffentlichung des Weißbuchs zur Industrie 4.0. Und Andrea Nahles steht damit in einer Tradition sehr intelligenter Menschen… Dennoch hat sie unrecht. Denn mit der Digitalisierung stehen wir vor einer Automatisierung neuen Typs. Sie ist bis jetzt singulär in der Menschheitsgeschichte und wird unsere Gesellschaft durch verschiedene Faktoren grundlegend umstrukturieren.
Automatisierung macht uns arbeitslos
Maschinen ersetzen menschliche Arbeit. Das ist kein neues Phänomen. Doch in zunehmendem Maße ersetzen Maschinen nicht mehr nur die Muskelkraft sondern auch das Denken. Das Selbstfahrende Auto (eines der bekanntesten Produkte der Digitalisierung) zum Beispiel könnten bald Taxi-, Bus- und LKW-Fahrer arbeitslos machen. In den USA wären 3,5 Millionen LKW-Fahrer betroffen. Und das ist keine Zukunftsmusik. Prototypen Selbst fahrender Autos fahren bereits in Spanien, Frankreich (siehe Abb.) und sehr bald auch in Deutschland.
3D-Drucker werden indes immer ausgefeilter. Sie drucken momentan schon Waffen und Prothesen und werden immer günstiger. Sobald auch Heimgeräte komplexe Details drucken können, werden sie die Fertigungsindustrie als ganze gefährden. Es wird dann einfach bequemer sein sich seinen Schraubenzieher zu hause auszudrucken, als zum Baumarkt zu fahren. Die Industrie 4.0 ist ein riesiges Projekt der Bundesregierung, das seit 2011 mit Milliarden gefördert wird. Ziel ist es die komplett automatisierte Fabrik zu bauen. Bis zum letzten Moment der Fertigung soll ein Kunde mit seinem Smartphone noch Details ändern können. Es ist ein Traum der Digitalisierung, der Millionen Fabrikarbeiter arbeitslos machen wird.
Fertigungsroboter werden indes immer präziser, billiger und einfacher zu bedienen. Sie sind mittlerweile für große und mittlere Betriebe erschwinglich und automatisieren einfache Handgriffe. Sie müssen nicht mehr programmiert werden, sondern sie lernen Bewegungsabläufe durch Nachahmung. Und anders als vor 10 Jahren braucht man keine speziellen Roboter für spezielle Aufgaben mehr: Ein Typ von Robotern genügt.
Digitalisierung macht uns arbeitslos
Das körperliche Arbeiten ersetzt werden, daran haben wir uns ja bereits gewöhnt. Doch auch Dienstleistungen und geistige Arbeit sind keinesfalls mehr sicher. E-Commerce ersetzt in zunehmendem Maße den Einzelhandel. Wir kaufen heute lieber in Online-Shops als in öden in der Innenstadt. Wenig überraschend verlieren die Verkäufer dadurch ihre Arbeit. Computerprogramme übernehmen in zunehmendem Maße auch komplexe Planungsaufgaben wie die eines Anwalts oder Steuerberaters. Programme sind auch immer häufiger dazu in der Lage selbstständig zu lernen, und brauchen immer weniger konkrete Programmierung, um eine Aufgabe zu lösen. Nun mag man, wie der US-amerikanische Essayist Elbert Hubbard glauben, dass bestimmte kreative Aufgaben werden niemals automatisiert werden können:
Eine Maschine kann die Arbeit von fünfzig gewöhnlichen Menschen
leisten, aber sie kann nicht einen einzigen außergewöhnlichen ersetzen.Elbert Hubbard
Doch Fakt ist: Computerprogramme schreiben heute journalistische Reportagen, sie komponieren Symphonien und betreiben sogar Propaganda in sozialen Netzwerken. Und selbst genuine Bereiche von kreativer Arbeit wie die Lyrik sind bedroht. Auf der Seite botpoet.com bekommen User Gedichte angezeigt, und sollen entscheiden, ob sie von einem Menschen oder einem Computerprogramm erstellt wurden. Selbst Lyrik-interessierte können die Texte nicht mehr unterscheiden. Und in der Sammlung sind einige Texte die Alan Turing bereits in den 1950ern mit einem Computerprogramm erstellt hat.
Wir werden arbeitslos. Gut so?
Nun könnte man natürlich sagen: Wo ist das Problem? Keiner von uns arbeitet gerne. Soll die Digitalisierung uns doch arbeitslos machen. Stefan Dörner auf T3N bewertete diesen Umstand jüngst sehr positiv. Doch selbst wenn wir einmal hypothetisch annehmen, dass unsere sozialen Sicherheitssysteme all den Arbeitslosen immerhin das Überleben sichern können, so bleiben doch zwei sehr grundsätzliche Probleme: Der Wirtschaftliche Aspekt und das eigene Selbstbild.
Ohne Arbeit kein Konsum
Wenn ein großer Teil der Bevölkerung arbeitslos wird, kann er nur noch eingeschränkt am Erwerbsleben teilnehmen. Das Ergebnis: Die Industriellen haben große automatisierte Fabriken und wunderbar gestaltete Web-Shops, um ihre Produkte anzubieten, doch niemand kann sie sich mehr leisten. Der Absatz bricht zusammen. Die Wirtschaft stagniert.
Ohne Arbeit keine Selbstbestätigung
In der ganzen Menschheitsgeschichte war es unabdingbar für jeden Menschen, arbeiten zu müssen, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Mittlerweile ist die Prämisse, dass wir arbeiten müssen, tief in unserem kulturellen Gencode verankert. Wer nicht arbeiten will, wird als Schmarotzer wahr genommen, als Jemand der nichts positives zur Gesellschaft beiträgt.
Es ist eine Sünde, keiner Arbeit nachzugehen, auch wenn es für den Lebensunterhalt nicht erforderlich ist.
Leo Tolstoi (1828-1910)
„Wer nicht arbeiten will, der soll auch nicht essen.“
Zweiter Brief an die Thessalonicher, 3,10
Es ist elementar für unser Selbstbild geworden, etwas in der Welt leisten zu müssen, um wertvolle Individuen zu sein. Arbeitslose empfinden an ihrer Situation nicht die Erwerbslosigkeit bedrückend, sondern dass sie keine Aufgabe haben. Wie sollen soziale Sicherungssysteme dieses Dilemma lösen?
Was ist die Lösung?
Brauchen wir ein Bedingungsloses Grundeinkommen? Sollten wir jedem Menschen, gleich ob er arbeiten kann oder will, ob er bedürftig ist oder nicht seinen Lebensunterhalt zahlen? Sollten wir eine „Automatisierungsdividende“ einführen? Also alle Maschinen, die menschliche Arbeit ersetzen und für ihre Besitzer Werte erwirtschaften mit einer anteiligen Steuer belegen? Kann ein Bedingungsloses Grundeinkommen die elementare Herausforderung der Automatisierung/Technisierung überhaupt bewältigen? Immerhin kann es den arbeitslos gewordenen nur den Lebensunterhalt sichern, ihnen aber keine Selbstverwirklichung ermöglichen?
Wie weit können Digitalisierung und Automatisierung fortschreiten? Wozu können Maschinen auf absehbare Zeit, wozu auf lange Sicht in der Lage sein? Gibt es überhaupt noch genuine Bereiche von menschlicher Arbeit, die nicht irgendwann von Computern und Robotern übernommen werden können?
Gibt es Alternativen zum Bedingungslosen Grundeinkommen? Können wir die Arbeitszeit begrenzen und Arbeitsfelder umverteilen? Oder gibt es andere Ansätze, die zuvor noch überhaupt niemand bedacht hat.
All dies sind schwierige und komplexe Fragen. Doch es sind Fragen, die eine Antwort fordern, und zwar nicht in 10 oder 20 Jahren, sondern im nächsten und übernächsten Jahr. Die einzige Antwort auf die Digitalisierung, die wir nicht geben dürfen, ist sie aufzugeben und das Rad zurückzudrehen. Wir können den technischen Fortschritt nicht aufhalten. Wir sollten es auch nicht. Wir müssen uns jedoch Gedanken, um seine gesellschaftlichen Folgen machen.
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Lieber Thomas,
danke für die tollen geistigen Anregungen! Ich musste zuerst ein paar Tage die Fragen “verdauen”, bevor ich meine Intuition dazu als Meinung festhalten und ausdrücken konnte.
Zuerst die Frage: macht uns Digitalisierung alle arbeitslos? Eine langfristige Perspektive ist hier sicherlich gemeint. Unsere Aufgaben werden von zunehmend komplexeren Maschinen nach und nach übernommen, bis es irgendwann nicht mehr wirtschaftlich ist dass wir selbst nur irgendeine Tätigkeit ausüben und deshalb alle arbeitslos sind. Das ist eine interessante Frage, sie ist von höchster gesellschaftlicher Relevanz. Meiner Meinung nach muss man sie “klein kochen”: welche Bereiche sind davon in welchem Ausmaß und in welchem Zeitraum betroffen? Die Antwort wird sicherlich sehr unterschiedlich für Kunst, Handwerk und Wissenschaft ausfallen. Denn der Mehrwert in diesen Bereichen wird nach unterschiedlichen Prinzipen geschaffen. Meine Vermutung ist die Produktion von Gütern – die ohnehin von Computern stark dominiert wird – auch langfristig der Bereich sein wird, in dem Computer die dominanteste Rolle spielen. Auch innerhalb von einem Bereich muss man natürlich unterscheiden. Es gibt ein paar Bereiche wo Computer schwer durchdringen werden. Ich denke dass im allgemeinen es bei der Selbstorganisation und bei semantischen wissenschaftlichen Aufgaben, wir Sätze beweisen usw, es am schwierigsten sein wird Computer einzusetzen. Vielleicht wird das auch nie möglich dass ein Computer sinnvolle mathematische Theoremen “entdeckt”. Das liegt daran, dass wir nicht Gütekriterien aufstellen können, wonach irgendwelche abstrakte Sätze entwickelt und bewiesen werden (es gibt allerdings Ausnahmen).
Bei der Kunst bin ich mir nicht so sicher. Musik wird vielleicht leicht imitiert, weil sie auf Symmetrie und 8 (12) Töne basiert. Aber Kunstwerke? Heutzutage ist Kunst nicht nur eine kleine Statue oder ein Bild, sondern ein Konzept. Das philosophische Konzept steht oft sogar ganz im Vordergrund. Dass ein Computer ein Kunstwerk schafft, das eine Kritik an der Gesellschaft auf einer Weise äußert, die nicht von der menschlichen Weise Kritik zu äußern unterscheidbar ist. Und wenn eines Tages das möglich sein sollte, wird sich die Frage noch einmal stellen: was ist Kunst? Menschen kaufen Kunst oftmals gerade wegen der Einzigartigkeit, wegen des Urhebers. Eine Kopie, egal wie hoch ihr Wert ist, bleibt eine Kopie. Wenn ein Rechner Kunst produziert, wird vielleicht die Einzigartigkeit in Frage gestellt. Denn das Produkt wird letztendlich durch einen reproduzierbaren Algorithmus erstellt. Die Einzigartigkeit kann natürlich dem Rechner selbst zugeschrieben werden – das kann jedoch nur durch eine Revolution der Moral einhergehen.
Um auf die ursprüngliche Frage zurück zu kommen: kann ein Rechner kreativ sein? Das ist wie mit dem freien Willen: man wird zu unterschiedlichen Antworten kommen wenn man unterschiedliche Definitionen von Kreativität hat. Was genau ist Kreativität? Wenn man Kreativität als eine menschliche Eigenschaft definiert, wird ein Computer per Definition niemals kreativ sein können. Wenn man allgemein Kreativität als die Fähigkeit definiert etwas noch nicht existierendes, also originelles, schaffen zu können, dann bin ich überzeugt dass Computer schon jetzt kreativ sind. Man muss nur im Programm ein Zufallselement einbauen und mit einer genügend hoher Flexibilität wird man auch etwas neues schaffen. Dann ist allerdings die Frage, wer genau kreativ ist – der computer oder der Programmierer. Ich denke so: angenommen wir als Programmierer schaffen eine künstliche Intelligenz, ohne jedoch das Ziel zu verfolgen, dass diese KI ein Kunstwerk schafft. Die KI entwickelt sich jedoch und ist irgendwann in der Lage Kunst kreativ zu schaffen. Dann ist die KI kreativ. Die Unmittelbarkeit des Produkts würde also die Kreativität in Frage stellen.
Ich denke übrigens ähnlich auch in Bezug auf Gott. Angenommen es gibt Ihn, und er hat uns so “programmiert” dass wir in der Lage sind Kunst zu schaffen. Ist er der kreative, oder wir? Wer ist der Schöpfer von Kunst? Dieser Blickwinkel – so denke ich – muss auch unsere zukünftige Einstellung bezüglich KI beeinflussen. Denn die KI ist so was wie unser Kind.
P.S. Noch ein letzter Kommentar bezüglich der potenziellen Arbeitslosigkeit aufgrund von Computern. Ähnliche Bedenken und Diskussionen wurden in England im späten 18 Jahrhundert geführt, als das Weben-Handwerk zunehmend industrialisiert wurde. Diese Diskussionen sind im “The Wealth of Nations” brilliant fest gehalten. Die Menschen hatten Angst, dass die Technologie die Arbeitsplätze vernichten würde. Es war allerdings so, dass die weggefallene Arbeitsplätze ersetzt wurden, durch neuere, produktivere Jobs, die mehr Wissen erforderten. Man hat einfach die Gewinne in Technologie und Forschung investiert. Ökonomen gehen immer noch davon aus, dass das auch im Zeitalter der Digitalisierung der Fall sein wird.