Die Ermittlungen von Generalbundesanwalt Harald Range gegen Netzpolitik.org wegen Landesverrat haben einen Sturm der Entrüstung in modernen wie klassischen Medien ausgelöst. Warum war das für den Generalbundesanwalt nicht absehbar? Journalisten reagieren traditionell allergisch auf solche Angriffe. Vielleicht, weil der Generalbundesanwalt netzpolitik.org gar nicht für ein journalistisches Medium gehalten hat…
Für alle, die es noch nicht wissen (also diejenigen, die sich seit letztem Donnerstag in einem Erdloch eingegraben hatten): Der Generalbundesanwalt Harald Range hat ein Verfahren gegen den Blog Netzpolitik.org angekündigt. Erstmalig seit 1983 wurde in Deutschland wieder gegen Journalisten wegen Landesverrat ermittelt. Der Sturm der Entrüstung ging durch alle Medien: Von Blogs und sozialen Netzwerken, über klassische Zeitungen wie Süddeutsche, Welt und FAZ bis hin zu Deutschlandradio und der Tagesschau. Bei Google-News hält das Thema sich seit Fünf Tagen auf der Topposition. Unter den Hashtags #Landesverrat und #Range geht ein gigantischer Shitstorm durch Twitter.
Auf die rasche und heftige Medienreaktion hat auch die Politik reagiert. Justizminister Maas pfiff seinen Untergebenen den Generalbundesanwalt umgehend zurück. Auch die Bundeskanzlerin erklärte Abstand zu dem Verfahren. Politiker von Linken, Grünen, SPD und FDP haben mittlerweile den Rücktritt des Generalbundesanwalts gefordert. Die Linke möchte sogar einen Untersuchungsausschuss einrichten. Eine Frage bleibt jedoch: Die Anklage gegen Markus Beckedahl und Andre Meister war ein Tabubruch, und es fällt sehr schwer darin etwas anderes als eine Einschränkung der Pressefreiheit zu sehen. Journalisten egal in welchem Medium und welcher politischen Couleur nehmen Angriffe auf die Pressefreiheit traditionellerweise nicht sehr gut auf. Warum war der Genealbundesanwalt nicht in der Lage den Medienaufschrei und die daraus resultierenden politischen Wogen vorauszusehen? Meine Theorie: Er sah die Blogger von Netzpolitik nicht als richtige Journalisten an.
Sind Blogger Journalisten?
Aus verschiedenen Gründen ist das Mediengewerbe heute viel kompetitiver geworden als noch vor einigen Jahren. Klassische Pritmedien befinden sich seit Jahren im Niedergang. Notgedrungen verlegte sich also viel Berichterstattung in die Online-Medien. Und hier traten klassische Journalisten in Konkurrenz zu Bloggern. Um zu publizieren und gelesen zu werden, braucht man seit Verbreitung des Internets nämlich keine Druckmaschinen oder komplexe Infrastruktur mehr. Es genügt ein Server für ein paar Euro im Monat und eine Website. Blogger stellten deswegen lange eine Konkurrenz für klassische Medien dar. Sie hatten es schwer, sich als ernsthafte Journalisten zu etablieren. Erst zu Beginn des letzten Jahres durften Blogger beispielsweise der Bundespressekonferenz beiwohnen. (Übrigens auf Initiative des nun mutmaßlichen Landesverräters Markus Beckedahl)
Auch als nun die Ermittlungen wegen Landesverrat gegen Netzpolitik.org publik wurden, wurden Stimmen laut, die bezweifelten die Blogger seien richtige Journalisten. CDU-Netzpolitiker Jens Koeppen:
Wenn etwas als „Verschlusssache – vertraulich“ eingestuft wird, dann gilt das auch für Journalisten und die, die es gerne sein wollen…
— Jens Koeppen (@JensKoeppen) 31. Juli 2015
Julia Stein vom Netzwerk Recherche sieht in dem Verfahren wegen Landesverrat sogar eine Chance für Blogger, sich als Journalisten zu etablieren.
„Die Kollegen – Blogger – mussten sich gerade noch behaupten als “echte” Journalisten. Der Bundestag hatte ihnen die Akkreditierung verwehrt – weil sie eben “nur” Blogger sind –, als sie von den Sitzungen des NSA-Untersuchungsausschusses berichten wollten. Nun dürfen sie sich in gewisser Weise geadelt fühlen – als “neues Sturmgeschütz der Demokratie in 2015″? Warum eigentlich nicht. Lange Zeit wurden Blogger nicht richtig ernst genommen und auch von ihren Journalisten-Kollegen belächelt. Nun spätestens sieht wirklich jeder – ausgerechnet durch den Vorwurf des Landesverrats – dass die Kollegen auf journalistischer Augenhöhe berichten, unabhängig, zuweilen auch unliebsam.“
Solche Überlegungen könnte der Generalbundesanwalt angestrengt haben: Juristisch betrachtet, ist fast jeder ein Journalist, der etwas veröffentlicht. Aber Blogger? Das sind doch keine „richtigen Jounalisten“. Die berüchtigte Solidarität unter Journalisten wird sich sicher nicht auf sie erstrecken. Wen kümmert es, wenn ein paar Trolle durch Twitter und Facebook brüllen. Ein paar Blogger anzuklagen kann doch keinen wirklichen Skandal auslösen.
Harald Range ist Jahrgang 1948. Da kann man so etwas durchaus noch glauben.
Journalismus 2.0
An den Gegebenheiten des klassischen Journalismus festzuhalten, bringt uns nicht weiter. Wir leben im Jahr 2015, in dem immer mehr Menschen journalistische Inhalte im Internet lesen (und zunehmend auch bereit sind dafür zu bezahlen) Nostalgie ist daher nicht das Gebot der Stunde.
Die Art und Weise, wie Online-Journalisten und Blogger schreiben, ist logischerweise nicht exakt identisch mit dem üblichen Stil in Print-Zeitungen. Wie auch: Es ist ein anderes Medium, mit einer anderen Zielgruppe und anderen Konventionen. (In einem Zeitungsartikel würde ich mich hüten, einen flappsigen Anfangssatz wie in diesem Artikel zu schreiben… oder in einer Klammer darüber zu philosophieren, wie ich einen Zeitungsartikel schreiben würde) Blogger haben einen frischeren, einen neueren Stil als klassische Medien. Aber ihre Funktion ist mitunter genau identisch mit der des klassischen Journalismus: Sie informieren Bürger, damit diese sich eine fundierte Meinung zu Sachverhalten bilden können.
Wer gegen Menschen vorgeht, die sich diese Aufgabe gestellt haben, (mag er sie als Journalisten ansehen oder nicht) rüttelt an den Grundfesten unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung.
Schöner Artikel, gefällt mir!