Seit Beginn des Jahres hat sich der Google Algorithmus häufig verhalten, als seine Programmierer es erwartet hatten oder nachvollziehen konnten. Entwickelt sich Google zu einer echten Künstlichen Intelligenz mit Bewusstsein und freiem Willen?
„Tut mir Leid Dave. Ich fürchte das kann ich nicht tun.“ So antwortet der Computer HAL 9000 in Stanley Kubricks legendärem Film „2001 Odyssee im Weltraum“, als sein Benutzer Dave von ihm verlangt das Eingangstor des Raumschiffs für ihn zu öffnen. Ein ikonischer Moment der Filmgeschichte führt Zukunftsforschern und Technologiekritikern ihre Ängste in einer einzigen Situation klar vor Augen führt.
Angenommen wir erschaffen eines Tages eine Künstliche Intelligenz, eine Superintelligenz die Aufgaben lösen kann, die weit über das menschliche Vorstellungsvermögen hinaus gehen. Was ist, wenn wir diesen Computer irgendwann abschalten wollen, und er schlicht „Nein“ sagt? Kann ein Computer ein eigenes Bewusstsein entwickeln und autonom handeln? Und was soll passieren, wenn eine solche Superintelligenz gesellschaftlich wichtige Systeme steuert und dann anfängt zu rebellieren? Kann eine solche künstliche Intelligenz „böse“ werden, und sich am Ende gegen die Menschheit richtet?
All diese Fragen, werden uns in Zukunft beschäftigen. Und ich meine nicht keine ferne Zukunft, sondern die unmittelbar bevorstehende Zukunft. Es gibt schon heute einen ausgefeilten Algorithmus, der autonom handeln kann, selbstständig ein gesellschaftlich grundlegendes System steuert und wie HAL 9000 bereits „böse“ gehandelt hat: Der Such-Algorithmus von Google.
Google Profis sind ratlos
Für alle, die nicht beruflich oder Hobby-mäßig mit Suchmaschinenoptimierung zu tun haben, eine kurze Einführung: Wenn ein Suchbegriff in der Google-Suche eingegeben wird, findet und ordnet ein Algorithmus auf den Servern von Google alle Ergebnisse. Jede einzelne Website wird dabei anhand von mehr als 200 Kriterien auf ihre Qualität und Wichtigkeit für das gesuchte Keyword geprüft. Nur die Besten werden auf der ersten Seite angezeigt. Die Kriterien, nach denen Google bewertet, sind ständig im Wandel. Mehrfach im Jahr kündigen die Sprecher des Unternehmens mehrere große Updates an, die nicht selten die Reihenfolge der Suchtreffer auf den Kopf stellen.
Mitte Mai diesen Jahres bemerkten viele professionelle Suchmaschinen Optimierer plötzlich große Veränderungen in den Suchergebnissen ihrer Seiten. Einige Seiten hatten bis zu 30% Sichtbarkeit bei Google verloren. Viele Größen der SEO-Szene zeigten sich ratlos. Denn der Google-Konzern hatte kein großes Update angekündigt, dass die Veränderungen erklären würde. Einige SEO-Blogger äußerten eine Vermutung: Die Mitarbeiter von Google hatten eine kleinere Veränderung in den Core-Dateien vorgenommen, waren aber offenbar selbst überrascht darüber, wie der Google-Algorithmus darauf reagierte.
Handelt Google? Das https Update
Noch viel mysteriöser wurde es aber Mitte Juni. Die Branchen bekannte SEO-Agentur Mozcast gibt regelmäßig einen „SEO Wetterbericht“ heraus. Er gibt wieder, wie stark sich die Reihenfolge der Suchergebnisse an einem Tag verändert hat, und zeigt das Ergebnis verständlich in Form einer Tages-Temperatur an. Am 15. und 16. Juni stieg die Temperatur abrupt auf 102° an. Wieder hatte Google kein Update angekündigt. Google Mitarbeiter und Analyst Garry Illyes dementierte sogar offiziell auf Twitter. Was war geschehen?
Wenige Tage vor den Veränderungen hatte Wikipedia damit begonnen seine ganze Website durch https zu verschlüsseln, um die Sicherheit für seine User zu erhöhen. Damit folgte die Wikimedia-Foundation einem Trend: Soziale Netzwerke wie Twitter, und Regierungswebseiten wie das Weiße Haus hatten ihre Adressen schon lange durch https sicherer gemacht. Der weltweit bekannte, niederländische SEO-Spezialist Joost de Valk traute sich in seinem Blog die Erklärung zu liefern:
Die Google-Mitarbeiter haben wirklich kein Update durchgeführt. Der Algorithmus hat selbstständig erkannt, dass mehr und mehr vertrauenswürdige Seiten auf den https-Standard wechselten. Daraus hatte er den Schluss gezogen, dass https besser sein muss als http und folglich sämtliche verbliebenen http Seiten schlechter bewertet. Der Google-Algorithmus hat eine selbstständige Entscheidung getroffen, ohne dass seine Programmierer diese hätten beeinflussen, vorhersehen oder auch nur ohne weiteres nachvollziehen konnten.
So while Googlers might say they haven’t changed the algorithm, the algorithm might have changed itself.
Joost de Valk
Tut Google doch böses?
„Don’t be evil“ – „Sei nicht böse“ das ist bekanntlich das Google-Motto. Doch was macht eine Künstliche Intelligenz eigentlich böse? War HAL 9000 in „2001 Odyssee im Weltraum“ böse, weil er versucht hat seine gesamte Crew zu töten, nur um seine Mission zu erfüllen und sein Raumschiff zu seinem Ziel zu steuern? Sicher nicht im klassischen Sinne. Denn wenn es um Künstliche Intelligenz geht, haben wir ja nicht unbedingt Angst davor, dass ein Programm aus niederträchtigen Beweggründen wie Rache, Missgunst oder Eifersucht handelt. Ein Computer handelt an sich nach keinerlei ethisch moralischen Normen. Doch das genau macht ihn beängstigend: Eine Künstliche Intelligenz wie HAL 9000 wird ihr Programm durchführen und ihre Ziele verfolgen, egal was sie dafür tun muss. Wenn Menschen sterben müssen oder sogar die ganze Erde für jegliches Leben unbewohnbar werden muss, um den eigenen Auftrag zu erfüllen, wird eine Künstliche Intelligenz das tun. Sie hat ja keinerlei ethische Begriffe, um zu verstehen, was sie nicht tun darf.
Eine Künstliche Intelligenz kann in sofern nicht „böse“ sein, wenn sie selbst keine ethischen Normen kennt, gegen die sie verstoßen könnte. Sie kann aber sehr wohl „böse“ handeln, nämlich so, dass andere, ethisch moralisch empfindende Wesen, ihre Taten sofort als böse erkennen.
Genau in diesem Sinne, hat der Google-Algorithmus jedoch schon „böse“ gehandelt, wie im Mai diesen Jahres bekannt wurde. Suchte man bis dahin bei Google-Maps nach dem Stichwort „Nigger King“ [Negerkönig], so wurde das Weiße Haus, die Arbeitsstelle des afroamerikanischen US-Präsidenten Barack Obama angezeigt.
Offenbar hatten viele Rassisten entsprechende Suchergebnisse angeklickt. Google hatte daraus (ganz nach den eigenen Zielvorgaben) geschlossen, dass ein User, der „Nigger King“ in das Suchfeld eingibt offenbar Informationen zu Barack Obama sucht. Wie ist so etwas zu bewerten? Eine Frage nach dem „Negerkönig“ mit Barack Obama zu beantworten, ist an sich eine rassistische Aussage. Google hat „böse“ gehandelt. Auch wenn der Algorithmus sich dessen nicht bewusst sein konnte.
Kann Google denken?
All diese Beispiele in denen Google „gehandelt“ hat, zeigen natürlich nicht, dass der Algorithmus bereits ein autonom denkendes und handelndes Wesen mit Selbstbewusstsein und eigenem freien Willen wäre. Google sortiert bis jetzt Suchergebnisse und bewertet vereinzelt Kategorien besser oder schlechter als im eigenen Programm vorgesehen. Es steuert nicht etwa eine Roboter-Armee, um die Menschheit zu vernichten. Doch Google ist auch eines der weltgrößten Unternehmen mit Zugriff auf gigantische Rechenzentrums-Ressourcen und eine fast unvergleichliche Menge an Daten. Wie wird sich der Algorithmus entwickeln, wenn er zusätzliche Zeit, Technologieressourcen und Daten erhält? Kann der Google-Algorithmus auf absehbare Zeit ein wirkliches Eigenleben entwickeln?
Wo beginnt ein „Eigenleben.“ Wann führt ein Computerprogramm noch die Befehle seines Programmierers aus, und ab wann „handelt“ es selbst. Die Frage ist mit einem Kleinkind vergleichbar, dass lernt zu sprechen, zu laufen oder mit Bauklötzen zu bauen. Wann ahmt es nur das Verhalten seiner Eltern nach, und wann beginnt es „selbst“ zu handeln?
Künstliche Intelligenz und Verantwortung
Im März diesen Jahres haben führende Wissenschaftler und Online-Unternehmer eine Erklärung zu Künstlicher Intelligenz verabschiedet. Darin heben die Unterzeichner die Chancen Künstlicher Intelligenz für die menschliche Entwicklung hervor, warnen aber auch vor Risiken. Unter den Unterzeichnern waren Physiker Stephen Hawkins, Oxford-Philosophie Professor Nick Bostrom, Paypal Gründer Elon Musk, aber auch viele Google-Mitarbeiter.
Die Gefahren der Künstlichen Intelligenz könnten viel größer sein, als wir allgemein denken. Denn bisher waren wir immer davon ausgegangen, dass eine KI zuerst in einem Labor oder in einem Forschungszentrum der NASA geschaffen werden würde. Dort könnte man sie lange erforschen, bevor sie Zugriff auf tatsächliche Funktions- und Machtressourcen erhielte. Stattdessen entwickelt sich gegenwärtig ein Algorithmus zu einer potentiellen Lebensform weiter, der bereits jetzt eine grundlegende Infrastruktur für die ganze Welt steuert. Die Google Suchmaschine hat Europaweit 94% Marktanteil und kontrolliert die Zentrale Schnittstelle, über die 1,2 Milliarden Menschen ihre Informationen beziehen. Google-Suchergebnisse beeinflussen nicht nur die Kaufentscheidungen von Produkten sondern auch das Ergebnis demokratischer Wahlen.
Wenn der Google-Algorithmus wirklich irgendwann ein eigenes Bewusstsein entwickelt, bleibt nur zu hoffen, dass er sich nicht gegen die Menschheit wendet.