Hat Philosophie Relevanz in der Gesellschaft?

Philosophie ist die wichtigste aller Wissenschaften. Sie geht grundlegenden Fragen nach und erforscht Dinge von allgemeinem Interesse. Philosophie ist der Gradmesser und der Spiegel menschlicher Gesellschaft. Philosophie entwickelt Fortschritt und neue Ideen, und hilft so der Menschheit sich zu entwickeln und nicht im ewig gleichen Denken zu verharren.

Solche und ähnliche eloquent klingende Sätze habe ich über Philosophie formuliert, während meine akademische Laufbahn noch andauerte. Es waren keine leeren Worthülsen. Ich habe an jeden Buchstaben dieser Argumente geglaubt. Ich habe Philosophie mit Leidenschaft studiert, habe aus jedem philosophischen Buch, kritische Theorien über die Welt, aber zumeist auch gleichzeitig etwas über mich selbst gelernt. Das Philosophie-Studium war für mich Selbsterfahrung. In ständiger Reflexion zu einem immer tieferen Verständnis von komplexen Problemen zu gelangen, war für mich Lebenszweck und Erfüllung. Aber schon während des Studiums kamen in mir böse Gedanken auf, Gedanken, die ich zu lange ignoriert habe, und die sich jetzt in diesem Blogpost ihre Bahn brechen. Die Frage der ich nachgehen muss (nicht möchte) ist ob Philosophie irgendetwas zur Gesellschaft beiträgt.

Die Gesellschaft: Die Hand die Philosophie füttert

JuergenHabermas

Der Philosoph Jürgen Habermas regt gesellschaftlich relevante Debatten an. Aber wer außer anderen Intellektuellen nimmt an diesen Debatten Teil? Titel: Jürgen Habermas bei einer Diskussion in der Hochschule für Philosophie München Foto: Wolfram Huke Quelle: Wikicommons Creative Commons Grafik

Die Infrastruktur, um einem Studenten das Studium bis zum Abschluss zu ermöglichen, kostet den deutschen Staat 50 000 Euro. (zahlen von 2011 ) Diese Summe wird gleichermaßen für Ingenieure, Übersetzer, Sozialpädagogen, Anwälte, Physiker, Ärzte und eben Philosophen ausgegeben. Zwischen Ärzten, Sozialpädagogen, Ingenieuren etc. einerseits und Philosophen andererseits gibt es aber einen gewaltigen Unterschied: Ärzte, Sozialpädagogen und Ingenieure erbringen nach ihrem Abschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit einen konkret messbaren Nutzen für den Staat. Die Mehrzahl der Wähler fände unmittelbar ersichtlich, dass diese Gruppen Relevanz in der Gesellschaft haben. Und das sind die Personen,  die die Gesetze bestimmen nach denen Universitäten funktionieren und die Steuergelder bezahlen, um sie zu betreiben. Diesen Wählern wäre nicht unmittelbar ersichtlich was für einen Nutzen ein Philosoph für sie haben würde. Philosophen argumentieren oft, dass die Fähigkeiten, die sie erlernen eher indirekten Nutzen haben. Stimmt das?

Traurige These: Philosophie fehlt Relevanz in der Gesellschaft

Sinnlose-Suchbegriffe

Suchbegriffe wie „BMW“, „Bayern München“, oder „Helene Fischer“ werden millionenfach jeden Monat gesucht. Philosophische Begriffe wie „Sein“, „Staat“ oder „Denken“ nur wenige tausend mal.

Anders als wir Philosophen es uns häufig vorstellen, ist nur ein ausgesprochen geringer Teil der Bevölkerung auf der Suche nach einem tieferen Sinn des Lebens. Die Mehrheit ist wenig an Dingen interessiert, die über den eigenen Alltag hinausgehen. Ich arbeite seit einer gewissen Zeit für ein Online-Portal. Schaut man sich dort die Zugriffs-Statistiken für bestimmte Artikel an, so interessieren sich die User für Sport und Autos, für Konzerte und Events, für Prominente und vor allem für Verbrechen und Verkehrsunfälle. Dieser Eindruck mag zunächst etwas einseitig sein. Doch schaut man sich einmal die Statistiken an, welche Begriffe generell häufig gegoogelt werden, stellt man fest, dass hier Begriffe der Ethik, Metaphysik oder Staatstheorie ebenso nicht hoch im Kurs stehen. (Abb.)

Wir Philosophen haben eine ständige Neigung die Reichweite unserer eigenen Texte zu überschätzen. Einer Studie der DFG zufolge wird ein durchschnittliches wissenschaftliches Werk von gerade einmal 2 Personen gelesen. Menschen aus der Bevölkerung, die sich auf Sinnsuche im Leben befinden, greifen häufiger zu religiöser oder esoterischer Literatur als zu philosophischen Werken.

Philosophen argumentieren häufig, durch neue Ideen die Gesellschaft zu beeinflussen. Doch wie soll das geschehen, wenn philosophische Literatur in der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird und auch Entscheidungsträger an gesellschaftlichen Schnittstellen (Politik oder Wirtschaft) von Philosophie noch nie etwas gehört haben?

Rufen Ideen gesellschaftlichen Wandel hervor?

Nicht Ideen sondern die praktische Verwirklichung von Ideen verändern die Gesellschaft. Und wir müssen uns eingestehen, dass eine relativ profane Idee von Marc Zuckerberg die alltägliche Realität in den letzten zehn Jahren mehr verändert hat als alle philosophischen Ideen im gleichen Zeitraum.

Arab Spring photo

Auf dem Tahir-Platz wurde für Freiheit und Demokratie gestritten. Doch hätte es den Demonstranten genützt ihre Prinzipien philosophisch-dialektisch erläutern und herleiten zu können? Photo by AK Rockefeller

Wenn wir Philosophen große gesellschaftliche Veränderungen wie den Mauerfall, den arabische Frühling und die Entwicklung von Sozialen Netzwerken betrachten, dann sagen wir: Um diese Entwicklungen überhaupt voranzutreiben, müssen die Akteure bewusst oder unbewusst philosophische Konzepte vertreten haben: Sie müssen sich gesagt haben: „Die Freiheit von staatlicher Kontrolle und Überwachung ist ein Gut, für dass es sich zu kämpfen lohnt.“ oder „Ein religiöses Zwangsregime muss zu Gunsten eines liberalen Staates gestürzt werden“ oder „Menschen aus aller Welt sollten sich mittels neuer Technologie miteinander vernetzen und miteinander kommunizieren können.“

Das alles ist richtig. Doch haben die konkreten Menschen, die in Berlin oder Kairo auf die Straße gingen wirklich ein komplexes philosophisches System entwickelt, dass ihre Handlungen begründet? Oder gingen sie nicht viel mehr auf die Straße, weil sie konkrete Taten gegen sich, ihre Familien und Freunde nicht mehr hinnehmen wollten? Betrachtet es ein Internetuser wirklich als ethisch-moralischen Akt sich ein Facebook-Profil zu erstellen? Oder tut er das nicht viel mehr aus Bequemlichkeit, und weil er konkrete Kontakte mit Menschen pflegen möchte, die er nicht täglich sieht?

Sicher können wir als Philosophen die „philosophischen Grundpositionen“, die in gesellschaftlichen Wandlungsprozessen wirksam sind, erkennen, erklären und verbalisieren. Doch wären sie nicht auch wirksam, wenn dies niemand täte?

Ideenlos?

Black_Millipede

Tausendfüßler können angeblich ihre vielen Beine nicht mehr kontrollieren, sobald sie bewusst versuchen sie zu koordinieren.

Diese ganzen Gedanken sind mit Sicherheit durch meinen Start ins Arbeitsleben geprägt: Dort musste ich die Erfahrung machen, dass die meisten Menschen sich überhaupt keine Gedanken über grundlegende Probleme machen. Und wahrscheinlich ist das auch besser so: Wenn sie reflektieren würden, was sie eigentlich gerade tun, wären sie vielleicht wie der Tausendfüßler, der seine vielen Beine nicht mehr koordinieren kann, sobald er darüber nachdenkt.

Philosophie spielt im Alltag der Menschen, die keine studierten Philosophen sind keine Rolle. Wie begründet die akademische Philosophie dennoch ihre Relevanz in der Gesellschaft?

Relevanz schlechthin

Um Missverständnisse auszuräumen: Ich bin keinesfalls ein Gegner des philosophischen Denkens, weil ich davon überzeugt bin, dass die Philosophie ihren Zweck in sich selbst hat, dass jemand erforschen sollte, was die grundlegenden Verfassungen der Welt und des Menschen ist. Man kann legitimerweise in Frage stellen, ob Philosophen ihre gesellschaftliche Relevanz überhaupt begründen müssen.

Es gibt in unserer Gesellschaft Börsenmakler, die davon leben digitale Zahlen hin- und herzuschieben. Es gibt Abmahnanwälte, die nur vom Besitzmanagement bestimmter Werke leben. Und es gibt professionelle Poker- und Skatspieler. Wenn in einer Gesellschaft Menschen darin eine Lebensaufgabe finden, ein Spiel mit letztlich willkürlichen Regeln zur Perfektion zu betreiben, warum sollen Andere dann nicht die Grenzen des menschlichen Geistes austesten und über grundlegende Probleme philosophieren?

Platon-Aristoteles

Platon und Aristoteles waren sich sicher, dass Philosophie nicht darauf angewiesen ist, sich gesellschaftlich zu begründen. (Obgleich Platon formulierte, dass Philosophie der Gesellschaft hilft)

Mit etwas Nachdenken ist es kein Problem, konsistent und schlüssig zu erklären, warum Philosophen nicht darauf angewiesen sind, eine gesellschaftlich nützliche Funktion auszuüben. Schon Platon und Aristoteles formulierten in diversen Schriften, die Philosophie sei die vornehmste Wissenschaft, gerade weil sie keinen konkreten Zweck verfolgte. Ähnliche Grundprinzipien formulierten Kant und Friedrich Schiller. Das alles ist schön und gut. Aber, liebe Philosophen-Kollegen, sagt mal ehrlich: befriedigt euch das? Mich befriedigt das leider nicht. Mich beruhigt es zu wissen, dass die Philosophie eine Wissenschaft ist, die an sich wertvoll ist. Ich möchte aber auch, einer Tätigkeit nachgehen, die gesellschaftlich sinnvoll ist. (Und um alle Missverständnisse auszuschließen: ich meine nicht wirtschaftlich wertvoll sondern gesellschaftlich sinnvoll)

(Kein) Fazit

Ich habe eine Kategorie namens Philosophie in meinem Blog eröffnet. Das hätte ich nicht getan, wenn ich nicht vorhätte, dort auch zu publizieren. Philosophische Gedanken kommen mir einfach. Das war schon als kleines Kind so, noch bevor ich wusste, dass es philosophische Gedanken sind. Spätestens im Studium habe ich mir angeeignet, mit diesen Gedanken auch kritisch umzugehen, und aus einzelnen philosophischen Gedanken ganze Theorien und Argumentationen zu bilden.

Ich tue das in diesem Blog aus Gewohnheit, weil ich es schon immer getan habe und weil ich nicht glaube, dass der Sinn von Philosophie ausschließlich davon abhängt, dass sie eine gesellschaftliche Funktion erfüllt. Ich werde meine Leser aber nicht anlügen: Ich tue das mit einem flauen Gefühl im Magen, weil ich eigentlich glauben will, dass meine Tätigkeit irgendeine gesellschaftliche Relevanz hat. Schön wäre es jedoch, wenn ich auf absehbarer Zeit wieder eine befriedigende Antwort auf die Frage finden könnte.

Vielleicht hat ja einer der Leser einen guten Einfall und möchte ihn in den Kommentaren kundtun.

6 thoughts on “Hat Philosophie Relevanz in der Gesellschaft?

  1. Tobi_no2

    Ein Problem ist sicherlich die vereinfachte Rede von „Philosophie“. Vielleicht ist es erforderlich, wenigstens philosophische Disziplinen, wenn nicht sogar einzelne Philosophen getrennt zu betrachten und jeweils die Frage nach der gesellschaftlichen Relevanz erneut zu stellen. Viele Philosophen wollen sicher nicht gesellschaftsrelevant sein, sondern bloß verstehen. Die Gesamtgesellschaft will aber nicht verstehen, sondern bloß bestehen, sich selbst erhalten (auch diesen Gedanken verdanken wir zumindest einem „Schrägstrich-Philosophen“, Niklas Luhmann).
    Während also das Verstehen (des Lebens, der Welt, der Gesellschaft etc.) die Sache des Philosophen ist, ist die Sache der Gesellschaft das Bestehen, und das möglichst lang und komfortabel. Gesellschaftliche Relevanz aufweisen heißt demnach einen Beitrag leisten zu ihrem Fortbestand, möglichst lang und auf komfortable Art und Weise. Der Philosoph fragt vielleicht darauf – Wozu? Wo wollen wir denn hin? – und sucht nach einer Antwort. Mit Recht, meiner Meinung nach. Gesellschaftliche Relevanz hat er damit freilich keine. Aber nicht, weil er wertlos ist, sondern weil er zu wertvoll ist:
    Verstehen setzt Bestehen voraus, Bestehen aber nicht das Verstehen. Bestehen ist damit grundlegender, aber nicht tiefer, bedeutsamer als das Verstehen.
    An dieser Stelle sollte man den alten Hegel zu Wort kommen lassen, den ich beinahe aus seinem Grabe zurufen höre: „Wenn die Philosophie ihr Grau in Grau malt, dann ist eine Gestalt des Lebens alt geworden, und mit Grau in Grau läßt sie sich nicht verjüngen, sondern nur erkennen; die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug.“

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  2. Avatar-FotoThomasMorus1478 Post author

    Hallo Tobi,
    Dankeschön für diesen treffenden, argumentativ stimmigen und übrigens sehr schön formulierten Kommentar mit Bezug auf einen unserer gemeinsamen Lieblingsdenker.
    In meinem Artikel waren die Grundbegriffe, mit denen ich operiert habe, in der Tat nur sehr schwammig formuliert. Von was für einer „Philosophie“ hier die Rede ist, in was für einer „Gesellschaft“ sie wirken soll und was es bedeutet, dass sie dort „Relevanz“ hat, kommt in der Tat klarer heraus, wenn man sie am Luhmannschen Modell erklärt.
    Dass Philosophie nicht darauf angewiesen ist, gesellschaftliche Relevanz (verstanden als Beitrag zu ihrem Fortbestehen) zu leisten, erscheint einem, so wie du es zusammenfasst, natürlich unmittelbar einleuchtend.
    „Eine Gesellschaft entwickelt sich, weiß aber selbst nicht wohin.“ Wenn man so etwas liest, bekommt, glaube ich, nicht nur der philosophisch gebildete Leser sofort den Eindruck, dass man das einmal herausfinden müsste. Und du hast recht: Nur weil Bestehen zum Verstehen notwendig ist, heißt das noch lange nicht, das Verstehen daneben unwichtiger wäre.
    Bleibt ein Problem: Der Philosoph (wen auch immer man darunter versteht) ist immer sowohl Operator des sozialen Systems „Wissenschaft“ als auch Operator des sozialen Systems „Gesellschaft“. Somit vollzieht er sowohl Kommunikationen zum Zwecke des Wissensgewinns als auch Kommunikationen zur Reproduktion der Gesamtgesellschaft. Meine Befürchtung ist: Das widerspricht sich. Denn die Gesellschaft (völlig kontra intuitiv) funktioniert vielleicht doch besser, wenn sie nicht weiß, wo sie hin geht.

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  3. Petyo

    Ich bin zwar kein Philosoph aber ich erlaube mir einige Anmerkungen zu diesem interessanten Artikel. Das Thema hat mich nämlich auch schon beschäftigt, allerdings in Bezug auf meine eigene Arbeit, die eine Schnittstelle von Statistik und Ökonomie ist. Die Kommentare sind etwas unstrukturiert in meinem Kopf und ich werde sie auch so „herausspucken“.
    1) Muss Philosophie einen Nutzen erbringen? Angenommen – nur für einen Augenblick – dass man perfekt den Nutzen einer Tätigkeit messen könnte. Dann würde eine Gesellschaft nur Tätigkeiten finanzieren wollen (vermutlich), die auch Nutzen erbringen. Also potenziell würde so eine Tätigkeit auch nur „privat“ existieren. Also die Antwort würde variieren je nach Quelle der Notwendigkeit.

    2) Philosophie teilt mit den meisten Geisteswissenschaften die Eigenschaft, dass der Mehrwert für die Gesellschaft nicht messbar ist. Ich würde hier argumentieren, dass der Zweck von Philosophie nicht primär die Antwort aller Fragen ist, sondern eher als eine Hilfswissenschaft den Rahmen zu schaffen in denen andere Wisschenschaften und überhaupt menschliche Tätigkeiten ihren Beitrag für unsere Existenz erbringen. Genau wie Moral auch, eigentlich – es gibt Vorgaben was erlaubt und erstrebenswert ist, und was nicht. Insofern kann man sagen, dass Philosophie die Infrastruktur unserers Schaffens zur Verfügung stellt. So begriffen muss man den Fokus nur klein genug wählen um konkretere Vorstellung von dem Nutzen der Philosophie in unserem Alltag sehen. Ich würde argumentieren, dass Medizin, Jurisprudenz und Wirtschaft sehr wohl philosophische Aspekte haben, und selbst wenn beispielsweise Ökonomen nicht eine philosophische Ausbildung genießen, im Rahmen einer wissenschaftlichen Tätigkeit kommt man oft in Berührung zu philosophischen Fragestellungen … und dann passiert ein bisschen learning by doing. Jeder Statistiker ist ein Philosoph zugleich. Gibt es eine objektive Wahrheit? Wann ist eine Hypothese eine wissenschaftliche Hypothese? Was bedeutet das statistische Verwerfen oder nicht Verwerfen von einem Modell von dem wir im Voraus wissen dass es falsch ist?
    Ich kann etliche Beispiele geben, wo die Ausrichtung einer wissenschaftlichen Frage, oder die Deutung ihrer Antwort, von Philosophie mitgeprägt ist.

    3)Noch ein Punkt in Verbindung zu meiner Behauptung, dass Philosophie hauptsächlich eine Hilfsrolle hat. Die Entwicklung unserer Gesellschaft ist und wird massgeblich von dem bestimmt, über welche Technologien wir besitzen, welche Kenntnisse über die Funktionsweise der Naturgesetze wir haben, und wie die Verteilung und Austausch von Gütern in der Gesellschaft ist. Wenn Kopernikus feststellt dass die Erde sich um die Sonne dreht, dann verändert sich unser Verständnis über die Natur und damit auch unsere Philosophie. Philosophie bildet nämlich unseren Kenntnisstand ab (der Kenntnisstand hängt natürlich auch von der Interpretation der Beweise, was wiederum von unserem Apriori-Glaube abhängt. Richtige Wissenschaft funktioniert dennoch so, dass ein Update möglich ist).

    4) Eine letzte Anmerkung: wenn man nach Anzeichen für Nützlichkeit von Philosophie sucht, dann sollte man es lieber nicht in google machen. Da würden sich Urteile von verschiedenen Gerichtshöfen besser eignen, oder auch Meinungen von Ethikkomissionen, positiven Ökonomen usw.
    Und in Mannheim gibt es übrigens an der Abendakademie einen Kurs „Philosophie für den Alltag“ :), finde ich toll als Idee!

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    1. Avatar-FotoThomasMorus1478 Post author

      Hallo Petyo,
      erst einmal schön, dass du dich bei dem Thema zu Wort meldest. Da haben wir schöne Eindrücke von jemandem, der mindestens dem Namen nach kein Philosoph ist 🙂
      Zu 1) Ich habe ja geschrieben, dass man völlig kongruent und legitimerweise argumentieren kann, dass Philosophie nicht darauf angewiesen ist, gesellschaftlich nützlich zu sein. Ich habe mich wohl in einem Punkt zu unklar ausgedrückt. Deswegen stelle ich nochmal heraus: „Gesellschaftliche Relevanz“ oder „Gesellschaftlicher Nutzen“ meine ich keinesfalls in einer ökonomischen Art und Weise. Sozialarbeiter, Altenpfleger oder Kinder, die ihre dementen Eltern pflegen, erbringen damit wenig „wirtschaftlich nützlichen“ Wert für die Gesellschaft. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung würde aber zustimmen, dass sie etwas von enormer gesellschaftlicher Relevanz tun. Ein Äquivalent genau dazu suche ich in der akademischen Philosophie gegenwärtig. Und dabei wäre es auch nicht von Bedeutung, ob die ganze Gesellschaft oder nur ein Teil von diesem „Nutzen“ profitiert. Entscheidend wäre, dass irgendjemand außer den Philosophen selbst von der Philosophie profitiert.
      2) Dass Philosophie maßgeblich Hilfswissenschaft für andere Wissenschaften ist, ist ein interessanter Gedanke. Es stimmt sicher, wenn man irgendein Thema in Gänze behandeln will, eckt man irgendwann an Philosophie an. Ich hatte ja weiter oben beschrieben Facebooknutzer oder die Akteure des arabischen Frühlings müssen implizit eine komplexere Grundhaltung, mitunter eine Philosophie vertreten. Das ganze aber wieder auf meine Fragestellung mit der gesellschaftlichen Relevanz gebürstet: Könnten nicht auch Wirtschaftswissenschaften die Fragen in den Grenzbereichen zur Philosophie selbstständig lösen, ohne dass es eine akademische Disziplin Philosophie gäbe?
      3) Hochinteressanter Fragenkomplex. Habe ich in meiner Antwort zu Rouvens auf Facebook ja schon kurz angerissen. (Ich muss es in absehbarer Zeit hinkriegen, dass Facebook-Kommentare direkt unter dem Blog-Artikel angezeigt werden) Einflüsse des philosophischen Denkens auf das wissenschaftliche Denken lassen sich mindestens langfristig nicht bezweifeln. (Aristotelische Staatsphilosophie und Staatsaufbau im Mittelalter; Aufklärung und Französische Revolution; Deutscher Idealismus/Konstruktivismus und Quantenphysik) Wie stark technischer und gesellschaftlicher Wandel einen direkten Einfluss auf Philosophie hat, ist für mich eine essentielle Frage. Polemisch gesagt: „Kaut die Philosophie nur Prozesse gedanklich wieder, die ohnehin unausweichlich passieren oder kann Philosophie eine kreative Interpretations- und Steuerungsleistung in der Gesellschaft wahrnehmen.“
      4) Bei diesem einzigen Punkt möchte ich dir gerne explizit widersprechen. Die akademische Philosophie hat den Anspruch die Öffentlichkeit über ihre Themen aufzuklären, und der Ort, wo die Öffentlichkeit heutzutage nach Informationen sucht ist das Internet. Punkt. Wenn man an Gerichtshöfen, in Ethikkomissionen, in alternativen Ökonomie-Theorien oder bei Philosophiekursen an Volkshochschulen nach Philosophie sucht, besteht aus meiner Sicht leider folgende Gefahr: Man findet Debatten, die von Fachphilosophen und Spezialisten angrenzender Disziplinen miteinander geführt werden, und die (salopp gesagt) mit der Realität außerhalb des Vorlesungssaals nicht viel zu tun haben.
      … Aber diesen Kurs zu Philosophie im Alltag finde ich auch eine gute Idee. Dass ist genau die Richtung, in die ich hoffe, dass die akademische Philosophie sich bewegen wird.

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  4. Pingback: Philosophie und Gesellschaftliche Relevanz 2.0 - Utopian-Reflections

  5. Felix P.

    Schöner Blog ein Trag von dir, hab ihn auf Google entdeckt.
    Philosphie mag kurzfristig keinen direkt ermessbaren Wert haben prägt jedoch die langfristige Denkstruktur der Folgeepoche und somit die Entwicklung der Menschheit. Das sieht man in Deutschland gut an Kant und Goethe, die mit ihrem selbstgeleiteten Denken Einzug in die Moral der Gesellschaft erhalten haben, einfach nur auf Grund der Tatsache das sie der Menschheit ihr eigenes Denken vor die Augen geführt haben.

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